4. Brief von XT41 – was ist “transportiert”?

Es ist viel los hier bei uns. Und ich verstehe nicht, was passiert. Immer, wenn sie da sind, wenn viele von ihnen da sind, haben wir ganz besonders viel Angst. Viele von uns sind immer neugierig, und dankbar, dass überhaupt etwas passiert. Wir kommen dann nach Vorne, und schauen durch die Gitterstäbe. Wir wedeln dann auch ganz ordentlich mit unseren Schwanzis. Aber das ist nicht Freude, sondern die Unsicherheit, was als Nächstes passieren wird.

Ich habe mich ganz dolle um XT41 gekümmert. Zweimal ist es dunkel draußen geworden und wieder hell. Und ich habe nichts geschrieben. Aber ich habe einen Instinkt gehabt. Instinkt ist, glaube ich, wenn man sich an etwas cleveres erinnert, was man vorher nicht gelernt hat. Aber es ist trotzdem in mir drin. XT42 ging es gar nicht gut. Und sie hatte komische Augen und hat komisch geatmet. Ich habe mich erst an sie gekuschelt und dann habe ich mich mit meinen Pfoten an den Gitterstäben abgestützt und habe sie gedrückt bis dahin, wo Zutrinken ist. Dann habe ich gemacht, dass sie auch wirklich trinkt und mich wieder an sie gekuschelt.

Dann hat sie gesagt, dass ihr das Bäuchlein wehtut und sie deshalb komisch atmet und eigentlich hat sie das Gefühl dass da etwas raus muss. Ganz dringend. Und ich wusste nicht genau, was ich tun muss. XT42 brauchte dann frische Luft. Und es war nicht so kalt da draußen. Aber geregnet hat es. Wir sind dann zusammen raus. Ganz grau, bis an die Gitterstäbe hinter denen dieser Baum und die anderen tollen Sachen sind. Dann habe ich mit meinen Pfoten durch die Gitterstäbe versucht, diese grünen Sachen zu angeln, die da wachsen. Normalerweise kommen wir da nicht dran. Und was ganz nah ist, haben wir schon manchmal abgeknabbert. Aber weil es so nass da draußen war, haben sich ein paar von den grünen Dingern zu uns gebeugt. Ich habe sie mit dem Schnäutzchenn zu mir gerissen und XT42 hat sie dann gefressen. Dann hat sie wieder total komisch geatmet. Und dann hat sie sich merkwürdig bewegt und aus dem Schnäuztchen kam was flüssiges und ein kleines Dings heraus. Die Hündin von der nächsten Box hat gesagt, dass wir das nicht wieder auflecken sollen. Sie ist schon länger da und kennt sich ein bisschen aus hier, glaube ich. Sie meinte, dass die das nicht sehen dürfen, dass es XT42 schlecht geht. Und dass die auch nicht sehen dürfen, was sie eben gemacht hat. Sonst wird sie in dem Raum enden, in dem Hunde an der Wand hängen und sich nicht mehr bewegen. Den hat sie einmal beim Vorbeigeführtwerden mit offener Türe gesehen.

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Ich habe dann mit meinen Pfötchen alles was da war durch die Stäbe raus in den Regen geschoben. XT42 ging es dann etwas besser. Sie hatte keinen Appetit aber sie hatte wieder Augen wie immer und sie konnte besser laufen. Wir sind dann wieder rein gegangen, obwohl es draußen besser riecht.

Als es hell wurde, ist einer von ihnen gekommen und hat uns Futter in diese Dinger getan. Wir müssen jeder das fressen, was für uns ist. Wir dürfen nicht tauschen und sie machen das immer einzeln. Komisch war, dass direkt nachdem der mit dem Futter gekommen ist, einer hinterherkam und gemeint hat, er soll uns nichts geben, weil wir gleich transportiert werden. Ich weiß nicht, was ein transportiert werden bedeutet. Aber der zuerst gekommen war hat dann gemeint, dass wir doch XT-Nummern haben und heute nicht transportiert werden. Dann hat der andere noch etwas gebrummt und ist gegangen. XT hat alles gefressen aber noch mehr Hunger gehabt. Kein Wunder. Weil doch vorher das passiert ist mit dem grünen und dem was ich rausgeschoben habe. Die Nachbarin hat zu mir herüber gebellt ich soll wenn ich fast fertig bin mit Fressen das Mäulchen voll machen und dann dumm kucken. Sie hat das auch gemacht. Dann als die weg waren und wir alleine zusammen haben die Nachbarin und ich aus unseren Mäulchen das XT42 noch gegeben.

Es ist so schwer, in so einer kahlen Kiste clevere Ideen zu haben. Dabei können wir so viel und können so viel lernen. Die Nachbarin hat gesagt, dass wir eine Lagermentalität haben und dass wir uns anpassen können. Und dass wir uns anpassen müssen. Denn wer krank oder schwach ist, stirbt vorher schon. Vor was?

Heute war ein Tag ohne Schmerzen-Mach-Raum. Jedenfalls für die, die mit uns in den Boxen sind, und die wir hören und mit denen wir reden. Aber es war viel los irgendwo hier. Und manche haben in der Ferne geschrien. Und die warm angezogenen, die wir immer nur draußen sehen, waren auch da und sind herumgelaufen, als ob sie etwas suchen, was vom Zaun kommt. Aber da kam nichts.

Ob diejenigen, die geschrien haben „transportiert“ worden sind? Ich weiß nicht, was das ist, aber ich glaube, ich habe davor Angst.

Ich habe so viel Angst und jeden Tag noch mehr. Ich habe Angst, dass ich auch komisch Atme und mein Bäuchlein kaputt geht. Ich habe Angst, dass bei mir auch etwas rotes kommt und jemand denkt, mir geht es nicht gut, und ich dann in den Raum komme, wo die Hunde an der Wand hängen. Ich habe Angst, dass sie uns irgendwann kein Futter mehr bringen. Ich habe Angst, dass…

Eigentlich habe ich viel zu viel Angst. Und so wenig passiert, was mich ablenkt. Ich hätte jetzt so gerne irgend etwas zum herumschubbsen. Manchmal denke ich schon, ich könnte versuchen, diese weiße Stange zu moppsen, die sie uns manchmal quer ins Mäulchen stecken damit wir es nicht zumachen können wenn sie etwas in uns reintun, was wir nicht wollen. Ich könnte an ihr herumknabbern. Oder ich könnte sie durch die Kiste hier schleudern. Oder ich könnte XT42 zeigen, dass ich diese Stange habe, und sie könnte versuchen, sie mir abzujagen? Aber dazu brauchen wir mehr Platz. Und ich habe auch zu große Angst vor dieser Stange. Ich glaube, wenn jemand sie in unsere Box reinlegen würde, ich würde mich auf der ganz anderen Seite der Box ganz, ganz klein machen.

Heute vorhin waren sie wieder bei uns. Nicht nur die, die wir kennen. Auch andere. Welche, die ich noch nie gesehen habe. Erst habe ich gedacht, die kommen zum „Transportieren“. Aber sie haben zusammen mit einem von denen, die immer hier sind, in jede Box geschaut und alle von uns einzeln gemustert. Die, die sonst nicht da sind, haben mit einem Stöckchen auf einer Platte gekratzt und einer hat immer gesagt, „vorhanden, Zustand unauffällig“ und dann sind sie zum nächsten Gitter gegangen.

Es ist komisch. Aber wenn diese Anderen da sind, ist der, der auch sonst da ist, viel leiser, und irgendwie freundlicher zu uns. Wir trauen ihm nicht. Er hat uns schon so oft sehr wehgetan, wenn wir ihm die Pfote geben wollten oder einmal ganz kurz kuscheln.

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Eigentlich traue ich nur Zweien von denen. Irgendwie. Ich traue dem, der jetzt nicht mehr da ist, und der freundlich zu uns gewesen ist. Dem, der mich einmal auf dem Schoß hatte. Und der mein Öhrchen zart angefasst hat, so wie ich es, glaube ich, mag, anstatt daran zu reißen damit der Kopf so ist, dass jemand was in unsere Schnäutzchen tun kann. Der hat uns auch wehtun müssen. Aber ich glaube, das hat ihm so weh getan wie uns selbst. Der hatte so traurige Augen und hat bevor er weg war, mir etwas zugeflüstert. Ich weiss nicht genau was. Aber er hat manchmal nicht XT41 gesagt, wie die anderen, sondern, wenn niemand zugehört hat, „XTchen“…

Der andere, dem ich traue, der hat nichts. Kein Gesicht, keine Hände, die meine Öhrchen zart anfassen könnten oder so, aber der hat eine Stimme. Die ist in mir drinnen gewesen. Aber es ist schon zwei Mal dunkel und wieder hell geworden und diese Stimme war nicht in mir drin. Oder ich habe sie nicht gehört.

Es ist schade. Er hat mir ziemlich viel Mut gemacht. Und ich habe ihm versprochen, dass die anderen auch Mut haben, wie er das von mir wollte. Vielleicht habe ich das mit ihm auch nur geträumt? Das war so ein schöner Traum. Er hat von einer Frau erzählt und von einem Sofa. Und eigentlich wollte ich ihn fragen, was ein Sofa ist.

Jetzt ist es wieder dunkel. Und draußen vor den Gitterstäben ist alles nass. Ich glaube, es sind nur welche von denen da, die warm angezogen sind und draußen immer kucken, ob etwas vom Zaun kommt.

Ich habe Angst, wenn es wieder hell wird, dass XT42 und ich dann auch „transportiert werde“. Und ich habe Angst vor dem Raum, in dem Hunde an der Wand hängen…


Dies ist ein weiterer fiktiver Brief einer Hündin, die im Tierversuchslabor LPT, Mienenbüttel bei Hamburg, gefangen gehalten wird. Alle ihre Briefe findet Ihr hier

Bilder: Copyright Soko Tierschutz e.V./Cruelty Free International