Ich bin es, XT41. Es passiert irgendwie nichts hier. Also nicht hier drinnen bei uns, bei XT42 und mir und den anderen Hunden, die wir hören und sehen können.
Eigentlich ist es zwei mal am Tag sehr laut hier. Das ist, wenn sie mit dem Futter kommen und alle schreien und bellen und so. Manchmal verhakt sich ein Hund nebenan mit der Pfote im Gitter und dann tut das ihm sehr weh und er jault ganz schrecklich. Der ist ein bisschen tollpatschig. Und dann ist es immer so verschieden. Mal gibt es einen von denen, der sein Pfötchen vorsichtig zurück zu ihm macht. Aber meistens ist es dieser der komisch riecht und uns gar nicht mag. Der ist sehr brutal und die Pfote von dem Hund wird dann so verdreht, dass der noch mehr jault.
Meistens ist dieser brutale von denen da, wenn die Sonne noch nicht da ist. Ich glaube, der kann nicht viel mehr als unser Futter bringen und Pfötchen wehtun.
Einmal haben sich zwei von denen vor meinem Gitter unterhalten. Da haben sie gesagt, dass sie bald keine Arbeit mehr haben und wir, also XT42 und ich, und die neben uns, dass wir gar nicht gebraucht würden. Und dass er sagt, dass es nur noch Geld kostet, uns zu füttern und er sich fragt, was ein gewisser „Chef“ mit uns machen wird.
Die haben auch gesagt, dass es ein dummer Fehler war, XT42 vor ein paar Tagen so eine Sache in den Hals zu drücken. Weil das war eine Verwechslung. Und sie sagten, dass sie sehr dankbar sind, dass XT42 keine „Reaktion“ gezeigt hat, sonst hätten sie da was erklären müssen.
Ich glaube, dass XT42 schon eine Reaktion gezeigt hat. Es ging ihr so schrecklich schlecht, und ich musste immer das Rote hinten bei ihr wegschlabbern und ich habe sie doch nachts gewärmt und gemacht, dass sie trinkt. Und dieses grüne, was Andreas Gras nennt, habe ich hier gegeben und dann war alles draußen und dann ging es ihr langsam besser. Ich glaube, das war diese Reaktion. Und ich glaube, es ist gut, dass von denen das keiner gemerkt hat. Sonst wer weiß, dann wäre XT42 in dem Raum gelandet wo tote Hunde an der Wand hängen.
Wir waren schon lange nicht mehr in dem Schmerzen-Mach-Raum. Ich weiß nicht warum. Sie scheinen manche von uns von Drüben ab und zu dorthin zu bringen. Man hört es wenn sie weinen und schreien weil diese da ihnen schrecklich weh tun. Wir alle wissen, was da passiert. Und unsere Schwänzchen sind dann, wenn diese Schreie kommen, immer ganz ganz unten, bis unter unseren Bäuchlein. Und unsere Öhrchen versuchen wir wegzudrehen, aber die Dinger hängen halt so an uns runter, das geht nicht gut. Und dann machen wir uns immer ganz klein und unsichtbar in einer Ecke hinten und hoffen, wenn sie kommen, wieder einen zu holen, dass es keiner von uns ist.
Es waren auch wieder welche da, die wir noch nie gesehen hatten. Eine Frau hat ernst gekuckt. Jeden von uns. Und in jede Ecke. Und sie hat Papiere bei sich gehabt und die anderen, die immer da waren, waren ängstlich wenn sie angekuckt wurden.
XT42 hat vorhin zu mir gesagt. Unser Leben ist schön. So schön war es nur, als wir noch Welpen waren. Wir bekommen zwei Mal am Tag zu fressen. Wir haben Wasser, wir können in unserer Box hin und herlaufen und draussen, wenn es nicht sehr kalt ist, können wir sehen, wie die Sonne aufgeht, und untergeht. Und wir können schauen, wie die, die immer warm angezogen sind, vor unserem Gitter draußen ab und zu vorbeikommen. Sie sind nicht unfreundlich zu uns. Vor denen haben wir keine Angst. Aber wir sind für die auch nicht interessant, glaube ich.
Es ist so schön, wie wir leben. Nur Fressen, schlafen, und rein und raus gehen. Keiner bringt uns in den Schmerzen-Mach-Raum und außer das mit der Pfote von dem einen Hund tut uns auch keiner sonst weh.
Was ist mit denen passiert? Ist das eine Belohnung, weil wir immer so brav waren?
Aber das Schönste war, dass heute Abend, als es immer dunkler wurde, und immer ruhiger, wieder diese Stimme da war.
„XTchen?“ Außer mir hat das natürlich, wie immer, niemand bemerkt.
Ja, dachte ich, so lange habe ich diese Stimme nicht mehr gehört. Ich habe schon gedacht, dass war so ein Traum. Also sowas, wie wenn XT42 mit den Pfoten so herumwackelt obwohl die liegt und gar nicht läuft. Weil bei der im Kopf etwas passiert, was keiner sonst merkt.
Ja, und nun hatte ich wieder diesen Traum. Und diese Stimme. Ich glaube, es gibt ihn vielleicht wirklich, diesen Andreas.
„Ja, mich gibt es wirklich. Wenn Du jetzt bei mir wärest dann könntest Du auf meinem Schoß sitzen und ich könnte Dir die Öhrchen kraulen…“
Das machte mir Angst. Ich habe noch nie auf jemand seinem Schoß gesessen, der mir nicht wehgetan hat. Entweder hat mir einer das Mäulchen aufgerissen und einen Kunststoffstab quer rein, damit ich es nicht zu machen konnte, oder sie haben an meiner Zunge gerissen und dann etwas über Schleimhäute gemurmelt, oder sie haben mit kaltem Blick in meine Augen gestarrt. Auf dem Schoß sitzen ist nicht schön. Nein. Bitte!
Nicht auf dem Schoß! Bitte!
„Tut mir leid, XTchen, Du kennst so viele Dinge nicht, die einem Hund richtig Freude machen. Und glaube mir, es gibt Menschen, die Dich nur ganz zart anfassen, und ganz liebe voll, und weißt Du, die Frau, die mir Dein Foto mitgebracht hat? Sie sitzt jetzt hier neben mir. Und ich werde ihr sagen, dass Du am Anfang nicht auf den Schoß möchtest, weil Du davor Angst hast. Warte einen Moment!“
Zart anfassen. Einen Hund? Sowas machen die? Für uns ist es wunderbar, wenn sie uns überhaupt nicht anfassen. Solange sie uns nur füttern, sind wir richtig glücklich. Keiner tut uns weh. Und wir haben keinen Hunger. Ich glaube, das bedeutet anpassungsfähig zu sein. Wie gesagt, uns geht es so richtig richtig gut seit ein paar Tagen. OK, total langweilig. Irgendetwas in mir sucht immer etwas zu tun. Eine Aufgabe, oder ein Stöckchen, oder zum Knabbern, oder ich würde zum Beispiel gerne mal ganz schnell rennen. Egal wohin. Und egal ob ich dann irgendwie herumpurzeln würde. Ich glaube, das muss unheimlich schön sein, wenn man einfach rennen darf, und da ist kein Gitter und keine Wand. Und ich möchte so gerne mal an diesen Baum, den ich vor den Gittern sehen kann. Ich glaube, es würde mir richtig Spaß bringen, unter dem Baum den Boden mit den Pfoten unter meinem Bauch durch zu schmeißen und mir eine kleine Höhle zu buddeln. Etwas in mir sagt, dass eine Höhle etwas sehr wertvolles ist. Ich glaube, wenn es mir im Sommer zu warm war, dann hätte eine Höhle unter einem Baum etwas ganz wunderbares bedeutet. Aber vielleicht träume ich schon wieder?
„Nein, XTchen, Du träumst nicht!“ Andreas Stimme war da, und klang irgendwie komisch. Ich hatte das Gefühl, ich möchte ihm jetzt seine Augen lecken, weil die voller Salzwasser sind. So klang seine Stimme in mir.
„XTchen, das, was Du gerade gedacht und gefühlt hast, das ist in Dir drinnen. Das sind Deine Instinkte, und das ist etwas sehr wertvolles für Hunde, die draußen sind. Und Du bist eine sehr kluge Hündin. Du kannst Dir Dinge vorstellen, die Du nie erlebt hast, aber die Du noch erleben wirst. Ich habe der Frau von Deiner Angst erzählt, auf einen Schoß zu müssen. Sie hat sehr sehr geweint. Und dann hat sie gesagt, dass Du der Bestimmer sein darfst. Wenn Du zu ihr kommst. Sie wird Dir immer so viel Abstand geben, wie Du gerade brauchst. Du darfst in den Garten gehen, wo Bäume sind, und Büsche, und sie sagt, Du darfst sogar in ihren Beeten buddeln, wenn Du möchtest, und Du darfst überall, wo Du möchtest, ein Loch graben. Und damit Du nicht schon am Anfang an einer Schnur laufen musst, und Dich an alles gewöhnen, hat sie schon einen stabilen Zaun um ihren Garten bauen lassen…“
Das klingt alles so schön, und ich habe gedacht: Wo findet das alles statt? Hundeleben bestehen doch nur aus glatten weißen Wänden und Gittern und Zaun… Moment. ZAUN. Ein Zittern durchlief mich. Zaun. Das ist dieses böse Ding, was mich daran hindert an diesen Baum dort draußen zu gehen und Dinge zu machen, die ich so gerne wenigstens einmal im Leben machen möchte. Boden mit meinen Pfoten schubsen und so.
„XTchen. Entspann Dich.“
Ich konnte mich nicht entspannen. Das sind sie. Sie locken einen an, und dann ist da doch wieder ein Zaun. Ich werde XT42 sagen dass wir denen nie trauen dürfen, egal was passiert.“
„XTchen. Bitte. Vertraue mir. Und vertraue der Frau, die neben mir sitzt, und nur noch weint, weil sie sich schon so auf Dich freut! Weißt Du, wir sind inzwischen sicher, dass sie Dich nicht in den Raum, in dem Hunde tot an der Wand hängen, bringen werden. Das, was sie mit Dir tun wollten, das dürfen sie nicht mehr. Und viele Menschen kämpfen darum, dass Du und Deine Freunde, die an keinem Versuch teilgenommen haben, zu Familien dürfen. Verstehst Du?“
Nein, ich verstand nichts. Familien. Was sind Familien? Ich hatte nie eine Familie. Meine Mama hatte ich als ich sehr klein war. Die war immer sehr lieb zu mir und hat mich abgeleckt. Ob Familien so etwas sind wie wir hier in unseren Gruppen? Vielleicht kriegen die immer gleichzeitig zu Fressen und vielleicht machen die auch immer ein Heidenspektakel wenn das kommt?
„Meine Kleine, es gibt Menschen, die Hunde sehr, sehr gerne haben. Da leben die Hunde mit den Menschen zusammen, in den selben Zimmer, den selben Häusern, und gehen mit ihnen spazieren, spielen, toben, und wenn solche Menschen zusammen leben, dann sind das Familien.“
Ob das gut ist, dass da mehrere von denen zusammen sind, und dann mit mir spielen und toben wollen? Was genau ist Spielen und Toben? Werde ich es jemals erfahren? Andreas, ich habe nur eine einzige Familie, und das ist XT42 neben mir. Werde ich sie verlieren, wenn diese Frau mich…? Ich habe sonst niemanden auf der Welt, mit dem ich kuscheln kann, und auf den ich aufpassen kann, und den ich wärmen kann, und dem ich alles ablecken kann was abgeleckt gehört, und dessen Atem meine Schnurrhaare zittern lässt und der mich mit seinen Pfoten manchmal patscht und ich patsche und so… Bitte, ich habe doch nur dieses Leben hier in diesen Wänden und Gittern und meine XT42. Darf ich die bitte, bitte, immer behalten, egal was sie da draußen mit uns machen?
Ich lag so da, inzwischen war es sehr dunkel draußen. Drinnen wird es nicht ganz dunkel. Aber wenn man hinten liegt, also neben dem Loch nach draußen, dann ists nicht hell. Es dauerte eine Weile bis Andreas Stimme wieder in mir war:
„XTchen. Ich habe der Frau, die neben mir sitzt, Deine Bitte übersetzt. Sie hat stark Luft geholt und geweint. Und sie freut sich auf euch beide! Soll ich Dir sagen! Sie sagt, dass sie Dich auf dem Foto gesehen hat und Dich da rausholen wollte, aber sie hat nur kurz überlegt und gesagt, wenn Du es möchtest, dann könnt ihr, wenn ihr herauskommt, beide bei ihr zusammen wohnen. Sie kauft morgen noch ein Bettchen und noch einen Napf.“
Andreas, das klingt sehr schön. Ich glaube, ich muss jetzt unbedingt XT42 aufwecken und ihr das alles erzählen. Aber ich habe nicht alles verstanden. Zum Beispiel was ein Bettchen ist, weiß ich nicht. Wir haben da so eine Platte, die ist nicht ganz so kalt wie der Boden ringsherum. Vielleicht ist es so etwas?
Jede von uns wird ein eigenes Bettchen haben? Ein Bettchen?
Ich bin sehr müde und glaube, ich träume jetzt auch, so wie XT42. Und ich träume, dass ich irgendwann laufen kann, ohne sofort vorne irgendwo anzustoßen, und dass ich so ein Bettchen haben darf, und XT42 muss dann mit mir da drinnen schlafen, wie hier auch. Aneinander gekuschelt. Wir müssen uns doch wärmen.
Aber das schönste ist, nie mehr wird jemand von denen mich auf einen Schoß nehmen. Sie hat es versprochen! Nie mehr Mäulchen auf wenn ich nicht möchte!
Nie mehr auf einen Schoß! Er hat es versprochen, und ich vertraue ihm…
Schööööön
Dies ist ein weiterer fiktiver Brief einer Hündin, die im Tierversuchslabor LPT, Mienenbüttel bei Hamburg, gefangen gehalten wird. Alle ihre Briefe findet Ihr hier
- Berichte und Videos zu diesem Tierversuchslabor
- Petitionen gegen Tierversuche
- Demonstrationstermine
- Soko Tierschutz, die das Leid aufgedeckt und alles ins Rollen gebracht hat
Bilder: Copyright Soko Tierschutz e.V./Cruelty Free International