10. Brief von XT41 – Wo ist XT42?

Lieber Herr Kretschmer,
halten sie mich bitte nicht für verrückt. Ich lese Ihre Seite schon seit langer Zeit. Und ich lese immer, wenn sie über die Laborbeagle schreiben. Ich bin in der Ausbildung im Tierheim in G. bei D. und wir haben Mitte Dezember 4 Hunde hereinbekommen. Eine von denen kam mir merkwürdig bekannt vor. Als die Hunde kamen, hatten sie kleine Blechplaketten um. Die wurden ihnen abgenommen, als sie untersucht und gechippt wurden. Ich war neugierig und habe bei meiner Lieblingshündin nachgesehen: Auf ihrer Plakette steht LPT-M 16FEMXT41. Ich bin mir nicht sicher. Aber meinen Sie, dieses 16XT41 könnte bedeuten, dass das die Hündin ist, über die Sie immer schreiben?
Sie sieht der Hündin auf Ihren Bildern so ähnlich. Aber sie ist irgendwie viel weniger selbstbewusst, als ich sie mir immer vorgestellt habe. Ich glaube auch, dass sie sehr oft schlimme Träume hat, denn sie winselt manchmal im Schlaf und kann mit der Hündin, die mit ihr gekommen ist, nicht viel anfangen.
Diese Mail schreibe ich von meiner private Adresse aus. Meine Chefin wäre, glaube ich, nicht besonders glücklich, wenn sie wüsste, dass ich Sie angemailt habe. Aber diese Plakette und diese Ähnlichkeit hat mir keine Ruhe gelassen. Falls Sie sich das nicht ausdenken, sondern wirklich jemand mit XT41 spricht. Ich wünsche mir so sehr, dass die kleine Maus vertrauen zu mir fasst und keine Angst mehr vor mir hat. Wir haben hier alle Zeit der Welt und sie muss ja gar nichts. Ich will einfach, dass sie sich wohler fühlt, wenn jemand in ihrer Nähe ist. Vielleicht kann man ihr sagen, dass wir hier ein kleines Tierheim am Rhein sind, und dass wir es alle gut mit ihr meinen? Und dass ich sie ganz besonders lieb habe?
Nachträglich frohe Weihnachten wünscht Ihnen
Janine aus G.

xt41quarantäne

Andreas! Ich brauche Dich! Ich bin so alleine! Das Einzige, was immer bei mir war, seit ich mich erinnern kann, war XT42. Und sie ist weg! Sie ist weg! Immer, wenn sie in den letzten Tagen gekommen sind, und mit Futter gebracht haben, dann habe ich nur ganz wenig davon gefressen. Und immer, wenn sie die Türe aufgemacht haben, dass ich nach draußen gehen kann, bin ich vorsichtig durch diese Türe geschlichen, und habe überall, wo ich konnte, hingekuckt, und überall gesucht, ob ich irgendwo XT42 finde.

Ich jaule auch viel. Ich hoffe immer, irgendwann hört sie mich und dann kommt sie und wir lecken uns gegenseitig hinter den Öhrchen. Aber Andreas, sie ist nicht da.

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Sie sind so lieb zu uns! Und sie machen alles ganz langsam. Und wir dürfen sehr viel nach draußen. Und da sind die anderen Beagles. Und irgendwo, da hinten, wo wir nichts sehen, aber nur hören können, da sind auch andere Hunde. Die klingen aber alle nicht wie XT42.

In mir tut etwas ganz dolle weh in mir drinnen. Ich vermisse sie. Ich habe mich immer so um sie gekümmert. Und sie sich um mich. Wir waren ja immer zusammen eingesperrt. Ich will zurück! Lieber manchmal in den Schmerzen-Mach-Raum. Aber ich will wieder bei XT42 sein.

Ich möchte, dass XT42 das auch alles hier erlebt. Die eine junge Frau kommt immer rein. Dann setzt sie sich zu mir auf den Boden. Und ich verstecke mich erst einmal. Stell Dir vor! Die setzen sich vor mich auf den Boden! Runter! Die packen mich nicht im Nacken oder stoßen mich irgendwo hin. Nein. Die setze sich hin. Und dann sagen die Sachen. So ganz leise und ganz liebe Sachen. Und dann halten die mir was hin, was sehr gut riecht. Und dann darf ich mir das holen. Und dann schnapp ich mir das und verstecke mich wieder unter dieser Platte in dieser Höhle. Wie gerne würde ich diese leckeren Dinge für XT42 irgendwo verstecken? Ich glaube, es wäre richtig, sie draußen zu vergraben. Etwas in mir sagt, dass ich das machen sollte. Aber dann grinsen die und sagen, ich kann ja noch eines haben. Und sowieso ist das sehr sehr sehr lecker, was die mir geben.

Andreas. Ich durfte an einen Baum! Ich durfte da ganz nah ran! Ohne Gitter dazwischen und so! Und ich durfte unten an dem Baum herumkratzen mit den Pfoten! Das war so schön. Aber es ist nicht mein Baum. Und es ist keine XT42 in der Nähe. Ich weine viel. Und dann schauen sie durch dieses Fenster neben der Türe zu mir rein und kucken ganz traurig. Und dann sagten sie immer „Was muss der arme Hund durchgemacht haben“.

Manchmal vergesse ich, wie traurig ich bin. Einmal hat diese junge Frau eine Schnur mitgebracht. Und dann hat sie mir die hingehalten. Und dann hat sie damit gewackelt, und ich habe überlegt, ob ich in diese Schnur mal reinbeißen sollte. Ich hatte aber eigentlich zu viel Angst, dass ich etwas falsch mache und habe mich wieder ganz klein gemacht in meiner Ecke. Dann ist die Frau weggegangen und hat diese dicke Schnur vergessen. Meine neue Nachbarin und ich haben dann an der Schnur geschnüffelt. Und dann haben wir gleichzeitig reingebissen und gleichzeitig an der Schnur gezogen. Das war ein interessantes Gefühl. Ich habe innen drin ein kleines Bisschen geknurrt und sie auch. Aber das gehört, glaube ich, dazu, wenn wir zwei an einer dicken Schnur ziehe. Und dann haben wir uns geschüttelt und die Schnur ist bei mir geblieben und ich bin damit weggeflitzt. Und die Nachbarin hinter mir her und dann hat sie die Schnur gehabt und ist herumgetanzt und dann bin ich hinter ihr her. Und dann habe ich gesehen, dass diese junge Frau hinter dem Fenster stand und sehr glücklich aussah, weil wir beide mit dieser Schnur gespielt haben. Vielleicht durften wir die ja wirklich haben und sie hat die nicht nur vergessen?

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Andreas, Andreas, ich bin nur traurig wenn nichts los ist. Aber jetzt ist immer was los. Ich glaube, da hinten auf der anderen Seite von den Zäunen und Hecken sind jetzt viel mehr Hunde als dann, als wir gekommen sind. Es klingt so. Und die junge Frau, die mich manchmal an den Öhrchen krault, die murmelt etwas von Weihnachten und davon, dass die Leute dann immer ihre Viecher loswerden wollen. Ich weiß nicht, was Viecher sind. Aber vielleicht hat das damit zu tun, dass da so vele Hundestimmen zu hören sind.

Dieses Weihnachten scheint den Menschen gute Laune zu machen. Wir kriegen jetzt jeden Tag sowas zum Knabbern, wo wir ziemlich lange dran beschäftigt sind. Und den Leuten, die uns versorgen, ist wohl ziemlich kalt auf dem Kopf. Die tragen jetzt so rote Mützen mit weissem Fellrand. Auch die junge Frau.

Diese junge Frau mag mich, glaube ich, ziemlich gerne. Noch mehr gerne als die mit der Tochter die weiss, dass ihre Mutter eine Tierquälerin ist. Fast so dolle wie der Mann der immer XTchen zu mir gesagt hat, als meine Welt noch in Ordnung war und XT42 noch bei mir war.

Neulich hat diese Frau mich angeschaut und hat gesagt, dass sie in meinen Unterlagen diese Metallplatte gefunden hat, die ich immer um den Hals hatte, da wo, XT42 noch bei mir war. Und sie hat mich angeschaut. Von allen Seiten und von vorne. Und dann hat sie gesagt, dass sie das nicht glauben kann, wer ich bin. Und dann hat sie sich hingesetzt. Und dann hat sie so ein kleines Gerät geholt und gesagt, dass das jetzt nicht wehtut. Und dann hat sie dieses Gerät in ihrer Hand versteckt, und mich damit gestreichelt. Bis das Gerät leise gepiepst hat. Dann hat sie das angeschaut und etwas aufgeschrieben.

Sie ist weggegangen. Und dann ist sie wieder gekommen mit einer anderen Frau, die nicht so jung ist. Aber dafür ist sie sehr gut gefüttert worden, glaube ich. Und sie hat auf mich gedeutet und zu der anderen Frau gesagt, dass sie ganz genau wissen möchte, wo ich herkomme. Die andere Frau hat gesagt, dass es nicht üblich ist, so etwas zu wissen. Und dann hat die junge Frau sie angeschaut, so wie ich schaue, wenn ich mein Kau-Dings noch nicht habe. Mit großen Augen. Und dann hat die ältere Frau gesagt, dass sie das für sich behalten soll. Aber die Beagles hier in dieser Quarantänestation sind aus Hamburg.

Die junge Frau hat sich wieder hingesetzt zu mir. Und als wir alleine waren hat sie gemeint, dass sie mich schon so lange kennt. Und dass sie weiss, was ich erlebt habe. Und dass sie mich gleich erkannt hat.

Ich verstehe das alles nicht. Aber sie war so lieb zu mir, und kuckte so traurig. Da habe ich ihr einfach mal übers Gesicht geleckt.

Das war mir dann gleich unangenehm, weil so viel Nähe mag ich eigentlich nicht. Und sie hat das auch gemerkt. Und hat mich ein kleines Bisschen am Öhrchen gekrault. Und dann hat sie geflüstert, dass wir zwei ein kleines Geheimnis haben.

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Ich weiß nicht, was ein kleines Geheimnis ist. Aber vielleicht ist das ja, wenn einer von uns beiden weiß, wo XT42 ist?

Heute hat sie gesagt, das ist der erste Arbeitstag nach Weihnachten und wir beide machen jetzt etwas Neues. Und dann ist sie mit einem merkwürdigen Dings reingekommen. Das ist wie die Schnur, mit der ich mit der Nachbarin manchmal spiele. Aber irgendwie kompliziert. Und dann hat sie ganz vorsichtig von unten über meinen Kopf etwas geschoben. Dann ein Vorderbeinchen angehoben und dann hat es hinter meinem Rücken „Klick“ gemacht. Und dann noch einmal weiter hinten.

„Das steht Dir gut“ hat sie gesagt. Und dann ist sie aufgestanden und Richtung Türe gegangen.

„Komm“ hat sie gesagt. Und ich bin sitzen geblieben. Aber etwas hat sich komisch angefühlt. Ich habe wie einen Stupser an den Rippen gespürt. Dieses Dings, was mir gut steht, das stupst mich irgendwie. Und sie hat eine Schnur an der Hand die hängt an diesem Dings.

„Komm“ hat sie noch einmal gesagt. Und ein bisschen gezogen. Und ich bin einfach mal mit gegangen. Ich bin jetzt schon eine Weile hier und sie war immer immer lieb zu mir und hat mir nie weh getan. Naja, einmal, am Anfang, hat sie versucht, mit ihrem Kopf in die Nähe von meinem Kopf zu kommen. Das fand ich beängstigend.

Wir sind mit dieser Schnur zwischen uns aus der Türe draus. Und durch einen langen Raum. Und dann waren wir draußen. Nicht das draussen, wo ganz viele Hunde sind und wo es Zäune gibt. Nein. Es gibt noch ein draußen. Das ist, wo man ganz weit kucken kann. Und wo es total anders riecht. Ich bin einfach immer hinter ihr hergelatscht und habe mal rechts geschnüffelt, und mal links geschnüffelt. Und dann roch es irgendwo total spannend, und ich musste mich hinsetzen. Ich habe zu ihr gekuckt, ob das OK ist oder sie böse wird. Aber sie hat nur gesagt: „Alles gut, so ist das fein.“

Da war so ein schöner Wind! Und so viele interessante Dinge zu schnüffeln! Und ich konnte an der Seite von dieser jungen Frau immer weiterlatschen. Kein Zaun! Keine Mauer! Kein Schmerz-Mach-Raum! Und dann musste ich noch einmal mit krummem Rücken etwas machen. Und sie hat sich merkwürdigerweise darüber sehr gefreut und hat gemeint, wenn wir jetzt immer Gassi gehen, dann würde ich stubenrein. Ich weiss nicht, was stubenrein ist. Aber es scheint ihr sehr große Freude zu bereiten. Sie hat sogar das, was ich gemacht habe, aufgehoben und dann, als wir wieder zurück waren, da wo die Türen sind und so, da hat sie das erst losgelassen und irgendwo rein getan.

Ich glaube, ich mag Gassi gehen…

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Dies ist ein weiterer fiktiver Brief einer Hündin, die im Tierversuchslabor LPT, Mienenbüttel bei Hamburg, gefangen gehalten wurde. Alle ihre Briefe findet Ihr hier

Bilder: Copyright Soko Tierschutz e.V./Cruelty Free International