8. Brief von XT41 – Die Geräusche

Es ist so ruhig hier. Eigentlich. Diese Frau kommt manchmal. Die, mit dem kranken Mann und die erzählt hat, dass ihre Tochter geweint hat. Weil in der Schule jemand gesagt hat, dass sie wissen, wo die Mama arbeitet. Und dass die Mama eine Tierquälerin ist. Ich weiß nicht, was eine Tierquälerin ist. Aber etwas in mir drinnen möchte, dass ich diese Tochter tröste, und ihr die Tränen ablecke, und ihr sage, dass ihre Mama keine Tierquälerin ist. Wir Beagles mögen es, wenn etwas los ist, wenn alle glücklich sind und etwas zu tun haben. Und ich glaube, Tränen mögen wir nicht.

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Die Leute geben uns immer unser Futter. Sie machen alles weg, was wir hier drinnen machen, und nicht selbst wegmachen können. Und sonst machen sie nichts mit uns. Das ist vielleicht, weil wir die „Gruppe 4“ sind. Einer hat mal gesagt, dass wir wie rohe Eier behandelt werden müssen, weil wir nicht seziert werden, sondern vielleicht später herausgegeben werden, wenn hier alles vorbei ist.

Vielleicht ist dieses Herausgeben etwas schönes. Ich weiß es nicht. Der, den sie Chef nennen, war ein paar mal da und hat gekuckt. Achja, und ein anderer war da. Der war, glaube ich, ziemlich alt, und ziemlich dick. Und bei dem hatten sie alle Angst und haben schnell bei uns alles supersauber gemacht bevor der kam. Der war schon mal da. Und immer, kurz bevor der kommt, machen sie alles so sauber wie sonst nie.

Dieses mal war er nicht so lange da. Er hat gekuckt. Und der hat sehr ernst gekuckt. Und dann ist er gegangen. Dann ist es dunkel geworden. Dann ist es hell geworden, und dann kamen ganz viele von denen.

Erst solche, die Angst vor dem „Chef“ haben. Die haben bei uns wieder alles sauber gemacht und sogar da, wo die selber laufen alles sauber gemacht. Und dann kamen ganz viele andere und haben sehr lange sich alles angeschaut. Ich weiss nicht was das bedeutet.

Uns ist so langweilig. Aber wir haben zwei interessante Dinge zu beobachten. An unserem Zaun hängt etwas, was von dem Baum kommt, an den ich so gerne einmal gehen möchte, und an dem ich mit dem Pfoten die Erde auf die Seite schmeißen möchte, weil ich glaube, dass das vielleicht sehr viel Spaß macht. Das hängt da einfach. So ein Blatt.
Am Anfang war es so von der Farbe wie die Grashalme, die ich manchmal mit der Pfote fange. Aber jetzt ist es anders. Es bewegt sich bei Wind, und am Anfang haben wir das dann immer angebellt. Nein, wir haben keine Angst davor gehabt. Aber es muss doch gebellt werden, wenn sich etwas spannendes tut, oder?

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Und wenn es noch nicht ganz hell ist oder noch nicht ganz dunkel, dann kommt so ein kleiner Hund. Oder etwas anderes. Es hat einen langen Schwanz. Der ist so groß wie dieser kleine Hund und sehr sehr flauschig. Und dieses Etwas kann am Baum hochkrabbeln. Ganz schnell kann es das. Und es hat da, wo ich so gerne graben würde, da hat es ein Versteck für irgend etwas sehr wichtiges. Es geht immer da hin, und kuckt, und dann bringt es noch etwas, und macht das Loch auf, tut es rein, und macht das Loch wieder zu. Und immer, wenn dieses Etwas vorbeikommt, dann bellen wir alle. Aber wirklich alle. Also die ganze Reihe bellt dann.

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Andreas hat mir vor ein paar Tagen gesagt, dass die Frau, die immer bei ihm ist, die zwei Hundebetten gekauft hat, also, dass diese Frau schon wieder mit einem großen Bild von mir sich mit ganz vielen Leuten getroffen hat und gesagt, dass wir alle aus den Laboren raus sollen. Und Andreas meint, dass die das alle sofort wollen, und ganz, ganz viele sind.

Ich verstehe das nicht so ganz. Sie können doch hingehen, wo sie wollen. Wenn sie uns herausholen wollen, warum machen sie das dann nicht. Sie bringen uns ja auch in den Schmerz-Mach-Raum, wenn sie wollen. Vielleicht gibt es ganz verschiedene von denen?

Aber ich glaube, ich habe vor allen von denen Angst. Also das mit der Stimme von Andreas, das macht mir keine Angst mehr. Das war nur am Anfang. Jetzt freue ich mich immer wenn ich in mir seine Stimme höre. Aber wenn jetzt diese Frau oder Andreas wirklich hier wäre, vor meinen Gitterstäben, ich glaube, ich würde mich ganz klein machen, ganz hinten in der Ecke, und ich hätte so eine ganz ganz große Angst, dass mir wieder weh getan wird.

Manchmal sagen die Sachen, Andreas und diese Frau. Die sagen das ganz lieb. Aber das sind Sachen, da möchte ich mich immer ganz klein machen. Ich möchte nicht auf einen Arm genommen werden. Ich möchte auch nicht an eine Schnur dran und irgendwo laufen müssen. Ich möchte auch nicht überall angefasst werden.

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Die schönsten Zeiten hier sind, wenn wir alleine sind. Nur wir Beagles. Keine von denen. Ob ich irgendwann wirklich einem von denen vertrauen kann? Ob ich wirklich irgendwann…
„XTchen, ist es ok, wenn wir ein wenig mit einander sprechen?“ die Stimme von Andreas in mir drinnen. Schön!
Ja, das ist ok. Ich war sowieso gerade am über Dich nachdenken.
„XTchen, wie geht es Euch?“ Seine Stimme klang ein bisschen sorgenvoll.
Uns gehts gut. Naja, so wie immer. Wir haben zu Fressen, können Trinken, wenn wir wollen, und die machen gut sauber hier. Das perfekte Hundeleben. Ob ich ihm sagen soll, dass ich in den letzten Tagen manchmal das Gefühl hatte, andere Stimmen als seine in mir zu hören? Oder ist er dann böse?
„Xtchen, das habe ich vermutet. Das ist aber nichts Schlimmes! Schau, Du bist inzwischen da draußen ziemlich bekannt. Und auch deine Fotos. Und viele Menschen denken an Dich. Manche Menschen haben auch solche Fähigkeiten wie ich, und versuchen warscheinlich, mit Dir, oder mit Euch, in Kontakt zu kommen. Ich habe es oft versucht, aber ich bin einfach nicht zu Dir durchgedrungen. Nur einmal, aber da habe ich gefühlt, wie Du schläfst, und wollte Dich nicht stören“.
Ok, also, das bedeutet, dass es mehrere Leute gibt, die wir hier nicht sehen können, aber die wir hören können. XT42 meint dazu, dass das total normal ist. Weil wir können ja hier auch die Stimmen von viel mehr Hunden hören, als wir sehen können.
Aber ich finde das alles sehr kompliziert.
„Weißt Du, was ich immer zuerst höre, wenn ich mit Dir in Verbindung komme?“ Fragt Andreas.
Keine Ahnung. Bellen? Fiepsen? Scheppern? Vielleicht auch diese böse laute Türe hinter der andere Türen sind und dann dieser Schmerz-Mach-Raum?
„Nein, XTchen. Immer, wenn ich mich konzentriere, den Bild vor mir habe, und sich die Verbindung zwischen uns öffnet, dann höre ich so etwas wie Musik. Lange Töne, wie Akkorde von einem Brummkreisel, wie Geräusche von Wind, aber eben gleichmässiger. Lange Töne, manchmal mehr brummend, manchmal mehr singend. Ich habe mit vielen Tieren schon kommuniziert. Aber nur bei Dir höre ich diese Töne. Und ich habe das Gefühl, dass ich sie durch Deine Ohren höre. Und immer, wenn ich sie höre, weiss ich, dass ich bei Dir bin.“
Ich lege mich noch entspannter hin und sortiere meine sabberigen Lippen auf den Vorderpfoten. Dann drehe ich meine Augen in verschiedene Richtungen, dass XT42 schon sagt, man würde zu viel von dem Weißen sehen, und bewege meine Ohren. Das Geräusch ist wirklich da. Jetzt, wo er das sagt. Es ist immer da. Es war noch nie „nicht da!“. Ich dachte, überall wäre dieses Geräusch. Langgezogene Töne.
„Ich werde irgendwann herausfinden, was das für Geräusche sind, XTchen…“ Andreas klingt nachdenklich.
„Weißt Du, wie es den anderen Hunden geht? Denen hinter den anderen Türen?“
Ich kann nur sagen, sie bellen immer, wenn das kleine Ding hier vorbeikommt, und seine Spielsachen unter meinem Baum kontrolliert oder dort etwas vergräbt. Und der Hund mit der kaputten Pfote. Den gibts auch noch. Der weint immer. Am meisten morgens.
„XTchen. Ich freue mich, dass wir heute wieder mit einander sprechen konnten!. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich Dein Leben total verändern wird. Und wir hoffen, dass es viel schöner und viel besser wird, und Du zu der Frau mit dem Sofa reisen darfst! Ganz viele Menschen denken an Dich. Wichtig ist, dass Du gesund bleibst, und dass Ihr Euch nicht aufgebt!“
Ist ok, Andreas. Also, mehr als Fressen und Trinken können wir nicht tun. Und wenn sie kommen, und machen etwas mit uns, was uns krank macht, damit sie dann sehen, ob das vielleicht für sie auch schlecht ist, dann können wir nichts machen. Aber wir werden uns verstecken, hinten in der Ecke neben der Klappe nach draußen. Vielleicht sehen sie uns dann nicht, und gehen weiter?

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Dies ist ein weiterer fiktiver Brief einer Hündin, die im Tierversuchslabor LPT, Mienenbüttel bei Hamburg, gefangen gehalten wird. Alle ihre Briefe findet Ihr hier

Bilder: Copyright Soko Tierschutz e.V./Cruelty Free International