SOKO Tierschutz Faktencheck: Peter Tschentscher, Hamburg

Am 17.12.2019 stellte der Erste Bürgermeister Hamburgs in einer Radiosendung seine Sicht auf den Tierversuchsskandal rund um das Versuchslabor LPT dar.

Ein von einem unabhängigen Journalisten moderiertes Gespräch zum Thema
Tierversuche mit dem Hamburger Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und einem Tierrechtler, der sich mit dem Skandal-Unternehmen LPT, das seinen Hauptsitz in Neugraben, einem Stadtteil Hamburgs hat, wirklich sehr gut auskennt? Wenige Wochen vor der Bürgerschaftswahl?

as wäre wirklich spannend. Allerdings ist bisher ein solcher Termin nicht zustande gekommen. Friedrich Mülln von der SOKO Tierschutz hat sich jedoch bereit erklärt, die Statements im Interview des Ersten Bürgermeisters auf Radio Hamburg einem Faktencheck zu unterziehen, und als Fachmann die Aussagen zu kommentieren.


Zwischenablage01Peter Tschentscher (* 20. Januar 1966 in Bremen) ist ein deutscher Arzt
und Politiker (SPD) und seit dem 28. März 2018 Erster Bürgermeister der
Freien und Hansestadt Hamburg und war in dieser Funktion turnusgemäß von Oktober 2018 bis September 2019 Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Von März 2011 bis März 2018 war er
Finanzsenator. Aktuell kandidiert er zur Wiederwahl als Erster Bürgermeister Hamburgs 2020.

fm bw.jpgFriedrich Mülln (*1980) ist Vorsitzender von SOKO Tierschutz, eines 2013
gegründeten gemeinnützigen Vereines in Deutschland, der sich für
Tierrechte, sowie Umwelt- und Verbraucherschutz einsetzt. Seine
Organisation erhielt am 05.12.2019 in Anwesenheit von Dr. Franziska
Giffey, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend den
Deutschen Engagement-Preis für herausragenden Einsatz.


Moderator: Wir haben noch drei Buchstaben, die, glaube ich, bei allen hier sofort Assoziationen wecken werden: L P T. Tierversuchslabor. Dazu hatten sehr viele RH Hörer Fragen. So auch Heike Nüsse aus Neugraben. Warum wird dieses Tierversuchslabor nicht sofort geschlossen?

Zwischenablage01Peter Tschentscher: Es laufen derzeit staatsanwaltliche Ermittlungen.
Die Stadt Hamburg hat auch selber Strafanzeige gestellt. Derzeit
genehmigen wir keine Tierversuche mehr im LPT.

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Hier stoßen wir das erste Mal auf das “G Wort”: Genehmigung. Denn was Herr Tschentscher im ganzen Gespräch verschweigt oder schlicht und einfach nicht weiß, ist, dass die meisten Tierversuche am LPT nicht genehmigungspflichtig sind. In Neugraben, der LPT-Niederlassung, die in Hamburg ansässig ist, sind es vermutlich nahezu 100 %, die nicht genehmigungspflichtig, sondern eben nur anzeigepflichtig sind. Was heißt also nicht genehmigt? Bedeutet das, dass man dem Labor alle Tierversuche untersagt hat? Mit welcher Rechtsgrundlage, auf welche Dauer? Gilt das auch für anzeigepflichtige Versuche?

Zwischenablage01Peter Tschentscher: Die schlimmen Bilder, die in den Zeitungen zu sehen
waren und uns ja alle schockiert haben, stammen aus einem Labor außerhalb Hamburgs. Dafür waren wir nicht zuständig.

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Auch das ist nicht richtig, denn die Studien in
Mienenbüttel, Niedersachsen wurden durch die LPT Neugraben durchgeführt,
wo sich das verantwortliche Hauptquartier in Hamburg befindet. Der
Gewinn wurde in Neugraben erzielt, die Verantwortlichen waren weitgehend
Hamburger, der Hauptverantwortliche, Dr. Jost Leuschner, lebt in Hamburg
und die Kadaver werden in Hamburg genauso gelagert, wie die in Hamburg
ausgefertigten Studien. Das klingt ziemlich nach zuständig.

Zwischenablage01Peter Tschentscher: Wir haben jetzt trotzdem mit den niedersächsischen
Behörden zusammengearbeitet und sind auch noch einmal zu Kontrollen in
die Hamburger Laborstandorte gegangen. Und ich kann es sehr gut
verstehen, dass viele dort aufgeregt und erschrocken sind. Und deshalb
ist jetzt auch diese Aufarbeitung, dass wir rechtlich schauen, was wir
in dieser Angelegenheit tun können. Und solange die staatsanwaltlichen
Ermittlungen laufen, und wir eben auch keine neuen Genehmigungen
erteilen, ist auch jetzt eine Situation, die eben so ist.

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Hier mal wieder die Genehmigungen. Und Herr
Tschentscher tut so, als könnte eine Behörde keine Maßnahmen ergreifen,
außer auf die Staatsanwaltschaft zu warten. Ich gebe mal einige Tipps:
Tierhalte- und Betreuungsverbote und Verwaltungsakte bis zur
Betriebsschließung! Alles ist mit dem nötigen Willen möglich.

Zwischenablage01Peter Tschentscher: Grundsätzlich wirft das ja die Frage auf: Brauchen
wir überhaupt Tierversuche? Und dazu sage ich: Wir wollen Tierversuche
so weit wie möglich vermeiden.

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Wie verträgt sich das mit einem neuen Tierversuchslabor
für 30 Mio am UKE und einem minimalen Geldeinsatz für Alternativen (der
ausgelobte Preis für Alternativen ist ziemlich mickrig, denke ich)?

Zwischenablage01Peter Tschentscher: Sie werden auch nur nach sehr strengen Kriterien
genehmigt, und zwar so, dass es die Behörde beurteilt, die dafür
zuständig ist, dass aber auch eine Beratung stattfindet in einer
Tierschutzkommission …

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Moment, Hier haben wir wieder “genehmigt” und diesmal
sogar in der Kombination mit den sogenannten “Tierversuchskommissionen”.
Diese haben mit den regulatorischen Giftigkeitstests an Nagern und Fischen am LPT nichts zu tun und haben im übrigen nicht einmal die Macht, etwas zu genehmigen.

Die Tierversuchskomission gibt nur Stellungnahmen zu den genehmigungspflichtigen Tierversuchen an die verantwortliche Behörde ab. Wie transparent sind solche Vorgänge? Die Komissionen erhalten teilweise bereits geschwärzte Unterlagen, und die Teilnehmer der Kommission und deren Entscheidungen und Stellungnahmen sind geheim. Selbst das Gremium des Bundessicherheitsrates, der über Rüstungsgeschäfte urteilt, ist nicht derart geheim, dort darf man zumindest wissen, wer darüber
entscheidet, dass Waffen geliefert werden. In den Tierversuchskommissionen ist alles geheim. Redet ein Teilnehmer trotzdem, droht ihm eine Haftstrafe,

Zwischenablage01Peter Tschentscher: …die das begleitet, in der auch Mitglieder, Vertreter von Tierschutzvereinen Mitglied sind…

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Die Kommissionen sehen zwar eine paritätische
Besetzung mit Pro-Tierversuche Personen und kritischen Personen vor, nur haben sich aus Protest gegen dieses Alibi-System bereits vor Jahren alle seriösen Tierschutzorganisationen aus den Kommissionen zurück gezogen. Jetzt sitzen dort häufig auf der einen Seite offensichtliche Tierversuchsfans der Pharmakonzerne und Tierversuchs-Lobby und auf der anderen Seite getarnte Tierversuchsfans. Die Branche gründete ab dem Moment der Planung der Tierversuchs-Kommissionen sogar eine eigene „Tierschutzorganisation“, um diese Kommissionen passend bestücken zu können. Kaum verwunderlich, dass die Kommissionen durch stalinistische Abstimmungsergebnisse von durchschnittlich “98% Ja” auffallen. Wer diese
Leute sind? Ach ja, streng geheim. Wo und wann sie sich treffen: Das ist streng geheim. Was sie entscheiden: Streng geheim. Demokratie geht anders.

Zwischenablage01Peter Tschentscher: …sodass wir ein System haben, das nach strengen
Kriterien läuft. Tierversuche sollen wirklich nur in solchen Fällen
genehmigt werden …

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Wie gesagt die dürfen gar nichts genehmigen!

Zwischenablage01Peter Tschentscher: … in denen es für die Medizin, für die Entwicklung
von Medikamenten erforderlich ist.

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Hier erwähnt Herr Tschentscher aus Kalkül oder Unwissenheit nur Medikamente. Klingt ja auch besser als Hustenbonbons, Zucker und Cyanid.

Zwischenablage01Peter Tschentscher: Wir haben gerade jetzt noch einmal im UKE eine Professur eingerichtet, also eine Forschungsstelle, die sich damit beschäftigt, mit welchen Methoden wir in Zukunft solche Versuche ersetzen können. Denn es geht ja immer darum, schlimme Erkrankungen zu behandeln, zu heilen

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Nein, Herr Tschentscher! Es geht nicht immer darum,
schwere Krankheiten zu heilen. Ein Großteil der Tierversuche ist die
Grundlagenforschung, hier gibt es keinen therapeutischen Ansatz. Erst
kommen die regulatorischen Sicherheitstests von Schmierfett,
Haushaltschemikalien wie Aceton oder Chlor, Genussmittel wie Energy
Drinks oder E-Zigaretten, Lebensmittel und dann kommen Medikamente. Dazu
zählen dann aber auch altbekannte Substanzen wie Ginkgo und Baldrian,
wie man aus LPT Tierversuchen weiß. Hier setzt Herr Tschentscher eine
Taktik der Tierversuchslobby ein. Man ködert die Leute mit ihren Ängsten
vor schweren Krankheiten und verschweigt den Rest.

Zwischenablage01Peter Tschentscher: … und dafür auch alles zu tun, damit die Medikamente dann nicht plötzlich zu schlimmen Wirkungen führen …

fm bw.jpgFriedrich Mülln: 20 % der Medikamente führen nach all den Tierversuchen zu schlimmen Nebenwirkungen und müssen entweder vom Markt genommen oder mit Warnhinweisen ergänzt werden. Zehntausende Menschen sterben jedes Jahr daran. Da wäre es schon fair, wenn Herr Tschentscher erwähnen würde, wie unsicher Tierversuche sind und welchen Preis wir zahlen. Würden wir Auto fahren, wenn 20 % der Autos spontan in Flammen aufgehen
würden?

Zwischenablage01Peter Tschentscher: … D.h. es muss Vorversuche geben, und die können
aber in vielen Fällen schon heute ohne Tierversuche erfolgen, indem man
Zellkulturen macht, oder Organsysteme im Labor sozusagen künstlich
schafft, an denen man so etwas testen kann …

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Schade! Erst testet man an was Vernünftigem – und
sortiert dann die guten Ergebnisse an menschlichen Zellen, AOP und
Organchips im Tierversuch wieder heraus. 92-95 % der Substanzen, die im
Tierversuch erfolgreich waren, fallen später durch.

Zwischenablage01Peter Tschentscher: … Und dieses Prinzip wollen wir ausweiten und durch Forschung noch voranbringen, damit wir eben möglichst wenig Tierversuche in Zukunft brauchen …

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Warum dann nicht 30 Mio in Alternativen anstatt in einen neuen Tierversuchsbunker am UKE, Herr Tschentscher?

Zwischenablage01Peter Tschentscher: … Vielleicht sogar alles, was wir für die Medikamentenentwicklung und die Medizin brauchen, dann ohne Tierversuche weiterentwickeln können …

Moderator: Ich muss noch einmal nachfragen. Die Frage war ja: „Warum wird das LPT Versuchslabor nicht sofort geschlossen?“ Da haben Sie gesagt: „Gut, das liegt bei der Staatsanwaltschaft“

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Nein, liegt er nicht. Also entweder muss Herr Tschentscher noch einmal die Schulbank in Verwaltungsrecht drücken, oder er gibt zu, dass eine Behörde nicht als einziges Mittel den Staatsanwalt zur Verfügung hat. Die Behörde erteilt auch die GLP Genehmigung für das Labor. Ohne die Good Laboratory Praxis Freigabe wäre das Labor am Ende. Das liegt in der Hand der Hamburger Gesundheits-Behörde und nicht der Staatsanwaltschaft.

Moderator: Aber kann man denen nicht auch ein bisschen Dampf machen? Weil, ich glaube, den Leuten brennt das echt unter den Nägeln. Die sagen: Warum läuft das immer noch weiter? Ich glaube, der normale Mensch auf der Straße, und wir auch, der fragt sich: „Warum macht man das Ding nicht einfach zu? Und Aus!“

Zwischenablage01Peter Tschentscher:  Ja, weil wir ja ein Rechtsstaat sind, und weil die Staatsanwaltschaft eben in ihrem eigenen Auftrag so zu sagen unterwegs ist. Ich kann jetzt als Bürgermeister der Staatsanwaltschaft keine Vorschriften machten.

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Der Staatsanwaltschaft kann man in Deutschland über den Justizminister leider Vorgaben machen. Die Staatanwaltschaften sind weisungsabhängig: Also falsch.

Zwischenablage01Peter Tschentscher: Weder in die Richtung: “Macht mal strenger”, noch “Macht mal lockerer”. Das ist eine eigenständige Einheit, die nach juristischen Gesichtspunkten arbeitet. Das ist wichtig für den Rechtsstaat. Und dort wird sehr konsequent geprüft, ob wir Verstöße gegen das Tierschutzrecht haben, und in welchem Umfang. Und dann werden daraus auch die Konsequenzen gezogen, und zwar in aller Konsequenz. Dort wird es nicht so sein, dass man sagt „Och, naja, das war ja mal so, und jetzt tolerieren wir das mal!“…

fm bw.jpgFriedrich Mülln: „Das tolerieren wir jetzt mal“ ist in der Agrarkriminalität übrigens ein über Jahrzehnte praktiziertes und etabliertes Prinzip. Siehe Schnäbelkürzen, illegale Schlachtungen, Ferkelkastration, Küken-Schreddern …

Zwischenablage01Peter Tschentscher: … sondern da haben wir seine sehr, sehr klare Haltung. Das Tierschutzrecht ist klar, und wenn dagegen verstoßen wird, dann ist das eine Situation, in der wir keine Genehmigung für das betreffende Labor erteilen werden. Aber das muss jetzt eben auch dokumentiert und nachgewiesen werden. Deshalb laufen die Ermittlungen. Und wir haben auch unsere eigenen Möglichkeiten noch einmal genutzt, dort Kontrollen zu machen, und sicherzustellen, dass der Tierschutz dort in unserer Hamburger Situation jetzt auch eingehalten wird. Insofern: Es gilt der Rechtsstaat, es ist konsequent, jetzt zu prüfen, und daraus müssen dann die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden. LPT hat übrigens auch eigene Anwälte jetzt sozusagen beauftragt, sich rechtlich zu vertreten. Das ist das gute Recht dieses Labors. Wir sind in einer sehr harten rechtlichen Auseinandersetzung.

Moderator: Aber Sie haben jetzt schon auf Verständnis für die vielen Menschen, die Fotos sehen?

Zwischenablage01Peter Tschentscher:  Ich habe sehr großes Verständnis, weil wir ja alle sehr erschrocken sind. Vor allem, weil es ja auch um Tiere geht, die uns sehr nahe stehen. Das ist so. Ich habe mir das auch mal alles angesehen: Wir haben ja Gott sei dank in Hamburg keine Tierversuche an Affen, Hunden oder Katzen, Das sind ja auch bestimmte Tierarten, die vom Tierschutzgesetz besonders geschützt werden.

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Also besonderen Schutz sieht das TschG in der Tierversuchs-Verordnung nur für Affen vor. Da müssen die Versuche tatsächlich genehmigt werden. Bei Hunden und Katzen reicht ein Fax. Niemand prüft oder genehmigt. Das Ergebnis ist bekannt.

Zwischenablage01Peter Tschentscher: Und in sofern ist es dort in Niedersachsen jetzt zu diesen schlimmen Bildern gekommen, bzw. wir haben sie wahrgenommen, oder sie worden plötzlich jetzt auch veröffentlicht. So etwas darf einfach nicht passieren. Und deswegen auch diese harte Reaktion, die wir jedenfalls aus Hamburg auch nach Niedersachsen tragen. Und wo wir auch sagen: Selbst wenn es dort ist, und nicht bei uns in Hamburg, geht es um einen Betreiber, den wir hier auch haben. Und deshalb gehen wir in der gleichen Konsequenz auch gegen diesen Standort vor.

fm bw.jpgFriedrich Mülln: Wie schon erwähnt, das LPT ist hauptsächlich ein Hamburger Problem. Es ist eine Hamburger Firma, und es ist traurig, dass der Bürgermeister mit keinem Wort die in ARD-Interviews ausgestrahlten Betrugsvorwürfe im Rahmen von LPT Studien durch drei Zeugen, (ehemalige Mitarbeiter des LPT Hamburg/Neugraben) erwähnt. Einer hatte sich sogar an die zuständige Behörde in Hamburg gewandt. Ohne Erfolg. Ein Zeigen von Härte sieht anders aus. Und da Herr Tschentscher vom Fach ist und als Labor Arzt gearbeitet hat, frage ich mich, ob seine Aussagen tatsächlich auf Unwissen beruht oder gezielte Desinformation ist.


Dieser Text enthält ausschliesslich Originalaussagen, sowohl seitens des ersten Bürgermeisters Hamburgs, als auch von Friedrich Mülln. Stand 17.12.19/18.12.19

Bilder/Infos: Wikipedia/Soko Tierschutz, Originalinterview: Radio Hamburg